NeMUP Forschungsverbund

Neurobiologische Grundlagen von Pädophilie und sexuellem Missbrauchsverhalten gegen Kinder

Hintergrund

Epidemiologie und Ätiologie

Nach empirisch forensischen Untersuchungen sind in Deutschland rund 2,8% der Jungen und 8,6% der Mädchen Opfer schwerer sexueller Übergriffe. Untersuchungen zeigen, dass in etwa nur die Hälfte der verurteilten Sexualstraftäter dabei eine sexuelle Präferenz für Kinder im Sinne einer Pädophilie aufweist. Die kriminologische Forschung geht jedoch davon aus, dass diese Population lediglich einen geringen Anteil der tatsächlichen Täter ausmacht, da Sexualstraftaten gegen Kinder nur selten zur Anzeige gelangen.
Die hohe Prävalenz sexueller Viktimisierung und die begleitende öffentliche Aufmerksamkeit stehen in deutlichem Kontrast zu der geringen empirischen Datenbasis. Auch die klinische Versorgungslage zur therapeutischen Prävention sexueller Übergriffe ist dürftig. Insbesondere neurobiologische Untersuchungen sind bis zum heutigen Zeitpunkt selten. Die existierenden Veröffentlichungen leiden zudem unter methodischen Problemen wie Stichprobenselektivität im forensischen Kontext und geringen Fallzahlen und liefern bislang kein geschossenes Bild. Erste Ergebnisse weisen als mögliche Ursachen für Pädophilie auf genetische Prädisposition, Entwicklungsereignisse, soziales Lernen und Hirnmorphologie hin. Weiterhin legen Untersuchungen zur Neuropsychologie, Persönlichkeit, Sexualentwicklung und Sexualphysiologie Zusammenhänge zwischen frühen Hirnentwicklungsstörungen und Pädophilie und sexuellem Missbrauchsverhalten nahe. Dabei bleibt offen, inwieweit unterschiedliche ätiopathogenetische Einflüsse für die Entwicklung der sexuellen Präferenzstörung einerseits und der sexuellen Verhaltensstörung andererseits verantwortlich sind.

Hirnstrukturelle Besonderheiten

Die Hypothese von Hirnentwicklungsstörungen als Ursache für Pädophilie ist in neueren bildgebenden Untersuchungen mit ersten empirischen Daten unterstützt worden, die Veränderungen im Bereich der Amygdala und verbundenen Arealen berichten, die für die sexuelle Entwicklung von Bedeutung sind. Die berichteten Unterschiede im Volumen könnten Hinweise auf intrinsische oder umweltbedingte Entwicklungsstörungen darstellen, wie sie zum Beispiel durch einschneidende widrige Erfahrungen in kritischen Entwicklungsphasen ausgelöst sein könnten. Weiter unterstützend für die Hypothese hirnstruktureller Veränderungen als Grundlage der sexuellen Verhaltensstörung war, dass die beobachteten Veränderungen eine statistisch signifikanten Zusammenhang zum straffälligen Verhalten zeigten.
Weitere morphologische Besonderheiten wurden im präfrontalen Kortex (PFC), dem ventralen Striatum, dem medialen temporalen Kortex und zwei Hauptfaserbündeln gefunden. Bisher sind diese Ergebnisse allerdings sehr inkonsistent und bedürfen dringend einer kritischen Überprüfung. Inwieweit diese Veränderungen Ursache für Pädophilie und/oder sexuellen Kindesmissbrauch sind, ist bisher nicht klar.

Hirnfunktionelle Besonderheiten

Hirnfunktionelle Untersuchungen weisen auf Veränderungen in der Verarbeitung emotionaler und sexueller Stimuli im Zusammenhang mit Pädophilie hin. Im Konkreten zeigten pädophile Probanden bei der Präsentation sexueller Stimuli mit erwachsenem Körperschema im Vergleich zu nicht-pädophilen Kontrollprobanden eine verringerte Reaktion der Amygdala, des Hypothalamus und des Präfrontalen Kortex. Die Betrachtung von Bildern nackter Kinder hingegen rief eine Hirnaktivierung hervor, die weitestgehend der entsprach, die nicht-pädophile Kontrollprobanden bei der Betrachtung nackter Erwachsener zeigten. Dabei wurde jedoch in zwei Studien eine verstärkte Aktivierung des dorsolateralen präfrontalen Kortex gefunden, die als Dysfunktion in der Verarbeitung sexueller Stimuli gewertet wurde. Im Groß kann also zum heutigen Zeitpunkt davon ausgegangen werden, dass die Präsentation von präferierten Reizen (Kinder oder Erwachsene) bei allen Menschen (Pädophilen oder Teleiophilen) zu einer Aktivierung in weitgehend denselben Hirnarealen führt.

 

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